«Einmischeritis»

Dieses Wort gibt es nicht? Oh doch! Der Hirnforscher Ralph Dawirs z.B. verwendet diesen Ausdruck in Zusammenhang mit übervorsichtigen Eltern, die ihre Kinder z.B. überall hin chauffieren und von wo auch immer wieder abholen, da ja überall Gefahr „lauert“. Das ist aber eine andere Geschichte, nicht Thema diese Bloggs. Ich meine damit, die ständige Einmischung in anderer Leute Geschichten. Das ständige, da und dort muss ich auch noch „meinen Senf“ dazu geben. Die englische Redewendung: to have an oar in every man’s boat gefällt mir außerordentlich gut und trifft es sehr gut!

Das betrifft dich sicher nicht … oder doch?

Es liegt in unserer Natur. Wir können gar nicht anders.

Ich habe mir für 2017 u.a. vorgenommen, öfters mal – BEVOR ich meinen Mund aufmache – innezuhalten. BEVOR ich sofort wieder – ungefragt – einen Kommentar zu welchem Thema auch immer abgebe. Das benötigt Achtsamkeit! Dazu später mehr. In meiner kleinen Studie interessiert mich, wie oft werde ich explizit um Rat gefragt und auch in welchem Zusammenhang? Wie gehe ich damit um, wenn ich entdecke, dass ich kaum um Rat gefragt werde? Wie fühle ich mich, wenn mein Rat gar nie gefragt ist?

Ich denke, wir mischen uns deshalb immer wieder ungefragt ein, weil wir nicht um Rat gefragt werden. Ein Paradoxon? Mitnichten. Wir möchten gerne gefragt werden, ja, wir lechzen oft förmlich danach. Warum? Weil es uns ein Gefühl von Wichtigkeit, ein Gefühl von „unser Rat ist gefragt“ gibt. Werden wir nicht gefragt, fühlen wir uns nicht gebraucht, vielleicht sogar unnütz. Was meinst du?

Die Einmischeritis findet sich überall. In der Kindererziehung, wo (Groß)Eltern meinen, sie wüssten alles besser – aus uns Kindern ist ja auch etwas geworden … Was heißt, aus uns ist ja auch etwas geworden? Marionetten, die gut funktionieren? Oder selbständige, freie Menschen, die den Mut haben, zu sich und ihren Werten zu stehen? Ich habe diese Aussage noch nie verstanden. Vielleicht kann der geneigte Leser/Leserin weiterhelfen? Bitte schreibe mir: willkommen@astrid-yoga.com

Aber auch in Beziehungen findet sich „diese Krankheit“ wieder. Wir wissen genau, was der Partner denkt, fühlt, was er sich wünscht usw. Wir wissen es aus vergangenen Beziehungen, aufgrund unserer Klugheit, aufgrund all der Lebensweisheitsratgeber, die wir bisher gelesen haben. Es ist mittlerweile so, dass wir selbst als Coach oder als Lebens- und Sozialberater tätig werden könnten, da wir ja so viel erlebt haben. Bei anderen wissen wir immer genau was zu tun ist, da bleiben keine Fragen offen. Warum scheitern wir dann bei uns selbst?

Auch mit dem Alter wird gerne „Schindluder“ betrieben: Ich weiß es aus Erfahrung, ich bin schon so alt, ich habe den Krieg miterlebt, ich war dreimal verheiratet, habe fünf Kinder großgezogen – Beispiele gibt es unzählige. Das Alter, die Erfahrung, die Bildung sind auch kein Garant dafür, eine schlaue Antwort oder einen weisen Rat parat zu haben.

Kennst du das Gefühl, wenn sich Leute in dein Leben einmischen, die selbst den meisten „Dreck am Stecken“ haben?

Ich gestehe, ich bin auch eine große Einmischerin, ansonsten würde ich diesen Blogg wohl nicht schreiben. Darum wird diese: „Ich mische mich 2017 so weit wie möglich nicht ein-Challenge“ eine große Herausforderung für mich. Ich bitte all meine Weggefährten beruflich wie privat um Unterstützung, ansonsten schaffe ich es nicht. Ich übertreibe? Mitnichten! Mein Umfeld gibt Zweiflern sicher gerne Auskunft. Hilfreich wäre – abgesehen von einer gelebten Achtsamkeit meinerseits – ein Zeichen von außen, sollte es wieder und wieder geschehen.

Sollte ich allen ein selbstgebasteltes Stoppschild in die Hand drücken?

Das wäre wohl unsinnig. Es ist meine Aufgabe diesem „Einmischeritis-Wahnsinns“ ein Ende zu bereiten. Meine Mitmenschen können mich aber unterstützen, indem sie mich aufmerksam machen, sollte ich eine „Einmischungs-Tendenz“ an den Tag legen.

Was kann ich also tun? Ich werde mich zunächst im ZUHÖREN üben. Achtsames ZUHÖREN. Meine Mitmenschen ausreden lassen (auch wenn es mich noch so sehr juckt, Laute von mir zu geben). Akzeptieren, dass es manchmal „nur“ darum geht, sein Herzchen auszuschütten, ein paar heilsame Tränen zu vergießen oder eine dicke Umarmung zu bekommen. Möglicherweise ist dann auch wieder alles gut. Wie oft prasseln sofort wohlmeinende RatSCHLÄGE auf die Person ein; In Wirklichkeit geht es „nur darum sich mal auszuquatschen“? Wir meinen es gut, unsere Absicht ist eine Gute, am Ende war das gut gemeinte oft das Falsche.

ZUHÖREN ist der Schlüssel. Eine Gabe, die heute wenige beherrschen, wenige interessiert. Lernen wieder zuzuhören und eigene Gedanken, Interpretationen und Deutungen zurückzustellen.

Dazu fällt mir eine kleine Anekdote ein. Eine Bekannte von mir, die neben ihrer Tätigkeit als PR-Beraterin auch im Coaching tätig ist, war früher oft meine Anlaufstelle, wenn ich mich mal wieder über meine Chefin oder über meinen Partner geärgert habe. Dann trafen wir uns im Kaffeehaus und ich plapperte in einer Geschwindigkeit darauf los, dass man meinen könnte, ich hätte einen Kurs im Schnellsprechen besucht. Sie saß da, sagte kein Wort und hörte „nur“ zu. Ich habe gelechzt nach geistigem Input, nach dem „alles veränderten Lösungsvorschlag“, und meistens kam nichts. Schweigen, ein zartes, wohlmeinendes Lächeln und sonst nichts. Wenn sie etwas sagte, war das kein Rat, keine Belehrung, kein: „Ach du armes Geschöpf, warum gerade du, so ungerecht, sondern Anmerkungen, die mich dabei unterstützen sollten, selbst eine Antwort zu finden.

Und ich denke, genau um das geht es. Hilfe zur Selbsthilfe. Worte zur Selbsthilfe. Wir können nicht wissen, was für den anderen gut oder schlecht, was richtig oder falsch ist, wir laufen nicht „in seinen Schuhen“. Wir können uns vielleicht – aufgrund einer ähnlichen Erfahrung in die jeweilige Situation einfühlen, aber was tatsächlich gebraucht wird, können wir nur erahnen, nicht wissen.

Hilfe zur Selbsthilfe. Werde dir selbst zum Lehrer. Genau das ist auch mein Ansatz im Yoga-Unterricht.

Niemandem ist gedient, wenn wir ihn bemitleiden, ihn unterstützen in „seinem Elend“. Raus aus der Opferfalle, raus aus: Schuld sind immer die anderen, hin zu mehr Selbstverantwortung, zu einem selbstbestimmten, erfüllten Leben. Dazu mehr nächste Woche.

Die nächsten Tage werde ich mich im achtsames Zuhören üben, mich selbst beobachten: Wann, wieso und wie oft mische ich mich ungefragt ein? Diese Beobachtungen werde ich – genau wie im Yoga WERTFREI (ohne sofort wieder in eine Selbstverurteilung zu fallen) wahrnehmen.

Wahrnehmen, beobachten und annehmen. Vielleicht haben wir Menschen zwei Ohren und nur einen Mund, weil wir mehr zuhören als reden sollten? 😉

Ich freue mich über deine Rückmeldungen, dein Feedback

Alles Liebe & Namaste,
Astrid